An den Fingern zählen.
Statistik und Indiz an der Grenze zur Registratur.


(Caspar Clemens Mierau)

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Forschungsarbeit zum Seminar: Policey/Polizei, Dozent: Dr. Armin Schäfer
   


Aufgrund des Umfangs der Arbeit und der Komplexität der Abbildungen und Fußnoten musste ich mich leider entscheiden, diesen Text nur als PDF zu veröffentlichen, da eine Übertragung in eine HTML-Seite zu zeitaufwändig wäre und den Text auch kaum angemessen wiedergeben könnte. Dennoch soll das erste Kapitel hier wiedergegeben werden, um einen adäquaten Eindruck von Inhalt zu erhalten.

Die Forschungsarbeit wurde recht gut bewertet und einige der Thesen, sowie die eigenständige Erarbeitung besonders hervorgehoben. Kritisiert wurden die Zeichensetzung und sprachliche Flüchtigkeitsfehler, die Abstriche in der Sorgfalt der Textarbeit gaben. Vielen Dank an Herrn Dr. Schäfer für die ausführliche Besprechung der Arbeit.

 

Von der Schwierigkeit der Wiedererkennung

Im späten neunzehnten Jahrhundert stößt der französische Kriminalist und Anthropologe Alphonse Bertillon, damals noch junger Hilfsschreiber der Pariser Polizei-Präfektur, bei seiner Aufgabe, Personenbeschreibungen von Verbrechern auf Karteikarten zu übertragen, auf ein Problem, das die Arbeit der Polizei nicht nur in Frankreich erheblich behinderte: Bisherige erkennungsdienstliche Verfahren boten keine adäquaten Mittel zur Wiedererkennung von Straftätern und Verdächtigen. Die Gründe dafür lagen in den Verfahren selbst als auch in der neuen Situation der Polizei.

Die Rahmenbedingungen der Polizeiarbeit hatten sich verändert. Industrialisierung und Urbanisierung bildeten Infrastrukturen, die das neue Phänomen der städtischen Anonymität ermöglichten. War es jahrhundertelang üblich, die Identität einer Person durch Zeugenaussagen und Befragungen im direkten Umfeld zu ermitteln, verschwanden die dafür notwendigen dörflichen Strukturen und das „Abtauchen“ in der Großstadt bot Verbrechern eine neue Sicherheit.

Text und Fotografie traten als neue Lösungsansätze in den Vordergrund. Beide versprachen, das soziale Gedächtnis durch ein medientechnisches Archiv zu ersetzen. Schrift bot die Möglichkeit, Beschreibungen von Delinquenten dauerhaft zu hinterlegen und zu vervielfältigen. Doch die durch Steckbriefe bekannte Personenbeschreibung zeigte in der Praxis durch Klischees und Stereotypen die Grenzen der Wiedererkennung auf der Basis prosaischer Beschreibung.

Eine ernst zu nehmende Neuerung war die Einführung der Polizeifotografie. Die naturwissenschaftlich anmutende Methode der scheinbar realistischen Abbildung einer Person löste einen förmliche Flut von Bildern aus. Die Vorteile lagen auf der Hand: Opfern konnten Fotos vorgelegt, Beamte mit Reproduktionen zur Fahndung geschickt, Aufnahmen zwischen Dienststellen getauscht werden. Die Ernüchterung folgte auf dem Fuße. Fotografien waren nicht zweifelsfreie Abbildungen, sondern ließen einen Interpretationsspielraum zu, der Verwechslungen und Fehler zur Folge hatte.

Lässt man die Schwächen fotografischer Aufnahmen beiseite, stellt sich die Frage, wie ein Foto-Archiv überhaupt sortiert werden soll. Nach einer Verhaftung mussten bei dem Verdacht einer falschen Namensangabe des Verdächtigen zehntausende von Fotografien auf eine Übereinstimmung überprüft werden.3 Weder genügte also die vermeintlich naturalistisch-objektive Darstellung noch die angewendete Sortierung nach Personennamen den steigenden Anforderungen der Polizeiarbeit, zumal die Archive ins Unermessliche wuchsen.

An dieser Stelle setzen diese Arbeit und Bertillon gleichermaßen ein. Im Folgenden wird die Arbeit an einer zuverlässigen Identifikationsmethode im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert beleuchtet, die einen „zweckentsprechenderen Modus der Registratur“ als bisherige Verfahren ermöglichen sollte. Hierbei wird weniger Wert gelegt auf historische Vollständigkeit, als vielmehr auf die dahinter liegenden wissenschaftlichen Denk- bzw. Argumentationsstile. Die von Bertillon entwickelte Bertillonage wird kontrastiert mit der konkurrierenden Fingerabdruckkunde und an der Schnittstelle der beiden Methoden die besondere Rolle von Statistik, Indiz und Registratur herausgearbeitet.

 

 




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