"M - Eine Stadt sucht einen Mörder" (Fritz Lang, 1931)

Ablauf

 

  • 0.) Einleitung
  • 1.) Fritz Lang
  • 2.) Form (Inhalt)
  • 3.) Inhalt (Form)
  • 4.) Politik
  • 5.) M noir
  • 6.) Quellen
  • 7.) Thesenpapier

Dieser Vortrag wurde gehalten am 30. April 2002 im Seminar "Film Noir" an der Bauhaus-Universität Weimar. Zusätzlich zu dieser Seite wurde ein Thesenpapier als Handzettel ausgeteilt (siehe unten).

 

0.) Einleitung

 

  • "... schwarz nicht vom Dunkel der Nacht allein" (Raymond Chandler)

  • "Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt der Schwarze Mann zu dir - mit dem kleinen Hackebeilchen - macht er Schabefleisch - aus dir. - Du bist raus!" (M-ädchen)

  • "Dieser Mensch muss ausgerottet werden! Dieser Mensch muss weg!" (Schränker)

  • "Will nicht! Muss! Will nicht! Muss!" (M-örder)

 

 
1.) Fritz Lang

 

  • 1890 in Wien geboren
  • diente freiwillig im ersten Weltkrieg, mehrfach verwundet
  • Freundschaft mit Drehbuchautorin Thea von Harbou
  • Caligari aus zeitlichen Gründen nicht umgesetzt
  • 1922 Dr. Mabuse, der Spieler - caligarischer als Caligari selbst
  • Filme zwischen 1921 bis 1926 präfaschistisch kritisiert
  • ab 1930 entgegengesetzte Form des Caligarismus
  • Tod 1976 in Beverly Hill

 

 

2.) Form (Inhalt)

 

  • Uraufführung 11. Mai 1931, Arbeitstitel "Mörder unter uns"

M - Kulisse/Ausstattung/Requisite

  • gedreht im Studio Zeppelinhalle in Staaken
  • Ort: Berlin
  • konstruierte Stadt als glaubhafter Handlungsort
  • bewusster Verzicht auf "establishing shots"
  • Kamera fängt eine erfundene, künstliche, durchstilisierte Studiowelt ein
  • wiederholtes Treppenmotiv
  • fast nie Himmel zu sehen

Spiegel/Schaufenster/Licht/Perspektive

  • Schaufenster als Einblick in die Psyche des Betrachters und Bild der Realität
  • Spiegelung als Verweis auf Brüchigkeit bürgerlicher Existenz
  • Bilderwelt aus Schattenrissen, Durchblicken, Spiegeln und Scherben, bizarren Kamerawinkeln, voller Dunkelheit
  • typisch starke Licht-Dunkel-Effekte und Schwarz-Weiß-Kontraste, Gegenlicht und Schatten, Schattenbilder und Silhouetten (low-key)
  • bizarre Perspektive als Abbild der Seele

Technik/Stil

  • Einsatz typisch expressionistischer Stilmittel zum Einfangen der Bedrohung, die Anfang der dreißiger Jahre wohl schon nicht mehr latent war sondern massiv auf den Nationalsozialismus und die ihn tragende Disposition bezogen werden kann
  • im Expressionismus liegen Ordnung und Chaos eng zusammen, in Langs 30er Filmen werden sie in eins gesetzt, Ordnung und Chaos sind dasselbe und darin liegt die Bedrohung
  • in der caligarischen Lichtregie haben Sichtweise und innere Konsistenz der Lichtführung die Dunkelheit als Quelle und absolutem Gegensatz des Lichts zugleich gemeinsam
  • Entdeckung des Realismus
  • Möglichkeit des Tonfilms nicht voll ausgeschöpft, Geräusche, bedacht platziert ==> Darstellung subjektiver Gefühle und realer Eindrücke
  • Parallelschnitte und Überlappenlassen des zugehörigen Tons setzen Staatsapparat und Unterwelt in Bezug

 

3.) Inhalt (Form)

 

  • sehr genaue Wiedergabe von Polizeiarbeit
  • Seelenschau, alter ego
  • Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen rational bestimmter Moderne und archaischen Trieben am Rande der Hysterie, der Ausweglosigkeit, der Hoffnungslosigkeit und des moralischen Zerfalls
  • implantiert in einer Körper der Demokratie ein totalitäres Geschwür, das zersetzt, es wird triumphieren
  • Schlussmonolog- als erste Anerkennung unkontrollierbarer Impulse im Verbrecher die das Kino kennt
  • der von dunklen Kräften getriebene Täter, Nachfahre des Cesare, lebt unter dem Zwang zu töten
  • Gesellschaft verdächtigt sich gegenseitig des Verbrechens, Atmosphäre diffusen Terrors
  • in Anonymität der modernen Großstadtgesellschaft ist das Kranke, das Bedrohliche unsichtbar (siehe auch Caligari)
  • das absolute Verbrechen und die Tat des Irrsinnigen sind so ordentlich und vernünftig wie abstrus und chaotisch, für Staat und Gesellschaft gilt das gleiche
M - Mörder
  • Pfeifen auch präsent, wenn Täter nicht im Bild
  • harmlos, freundlich, fast infantil, physisch unauffällig
  • sexueller Hauch: Lecken der Lippen, Spirale, Pfeil
  • verzerrte Mimik, atonales Pfeifen
  • glänzendes Messer, rotierende Spirale, bewegter Pfeil als sexuelle Symbole
  • Schlussmonolog- als erste Anerkennung unkontrollierbarer Impulse im Verbrecher die das Kino kennt

    "Immer muss ich durch die Straßen gehen und immer spür ich, es ist einer hinter mir her. Das bin ich selber! Manchmal ist mir, als ob ich selber hinter mir herliefe! Aber ich kann nicht! Kann mir nicht entkommen! Muss, muss den Weg gehen, den es mich jagt! Muss rennen! Und mit mir rennen die Gespenster von Müttern, Kindern. Die geh'n nie mehr weg. Die sind immer da! Nur nicht, wenn ich's tue. Dann stehe ich vor einem Plakat und lese, was ich getan habe. Das habe ich getan? Aber davon weiß ich doch gar nichts! [...] Will nicht! Muss! Will nicht! Muss!"

 


4.) Politik

 

  • "M" als Film zwischen den Kriegen
  • gehäuft Bilder der absoluten Macht, Unterdrückung (z.B.: Stock, Hand)
  • Staat und Kriminelle vermischen sich

 

5.) M noir

 

  • typische visuelle Mittel des Film Noir: Licht/Schatten, Hell/Dunkel
  • Stimmung des Film Noir: düster, dunkel
  • Hoffnungslosigkeit, Desillusion, Unentrinnbarkeit
  • extremes Unterlicht gibt den Gesichtern ein dämonisches, unheilvolles Aussehen, manchmal nur Schattenbilder und Silhouetten
  • es gibt vielerlei Schwarz und schwarz kann sich in weiß verwandeln und schon im nächsten Moment wieder einem neuen Schwarz Platz machen
  • Filmtitel: Stadt (Keyword), Mörder (death, violence) (Foster Hirsch)
  • tough thriller: male hero
  • zombie-like verbal and visual mode
  • Ende der Vierziger Jahre im Film Noir wieder der psychisch gestörte Mörder ("He walked by night", "Follow me quitly")
 
6) Quellen

 

  • ENGELL, Lorenz: "Sinn und Industrie", (Campus Verlag) Frankfurt/Main, 1992
  • GRANT, Barry Keith: "Film Genre Reader II", (University of Texas Press), 1997
  • HAPPE, Carsten: "DIE ÄSTHETISIERUNG DER STADT BERLIN IN FRITZ LANG'S 'M'", elektronisch veröffentlicht unter: http://mitglied.lycos.de/carstenhappe/M-essay.htm [Stand: 28.04.2002]
  • HICKETHIER, Knut: "Film- und Fernsehanalyse", (Verlag J.B. Metzler) Stuttgart, 1996
  • KLAPDOR, Heike: "Fritz Langs Film 'M' und die Kriminalistik der Weimarer Republik", elektronisch veröffentlicht unter: http://www.helmut-schmitz.net/pw/weimar/weimar_texte/m/m_real.html [Stand: 28.04.2002]
  • KNIETZSCH, Horst: "FILM gestern und heute", (Urania Verlag Leipzig/Jena/Berlin), 1967
  • STEINBAUER-GRÖTSCH, Barbara: "Die lange Nacht der Schatten", (Fuldaer Verlagsanstalt) Fulda 1997
  • VOLK, Stefan: "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" in Film-Heft, elektronisch veröffentlicht unter: http://www.lernortkino.de/filme/34_m_eine_stadt_sucht/filmheft.pdf [Stand: 28.04.2002]
  • WERNER, Paul: "Film Noir", (Fischer Taschenbuch Verlag) Frankfurt/Main, 1985

 

 
7) Thesenpapier

 

Der Film zwischen den Kriegen

  • Lang selbst diente freiwillig im ersten Weltkrieg, wurde durch seine mehrfachen Verwundungen jedoch ernüchtert
  • 1931 zeichnete sich bereits deutlich die Machtergreifung der Nationalsozialisten ab

Der Film nach Caligari

  • Langs Mörder als Nachfahre des "gesteuerten" Cesare
  • wie im Caligari sitzt das Böse hinter den Fassaden und kann jederzeit zuschlagen

Der Film nach dem Expressionismus

  • Lang entdeckt den Realismus und verbindet realistische und expressionistische
  • effektvoller Einsatz des Tons ohne ihn technisch auszureizen (L. erster Tonfilm)

Der Film mit dem besessenen Mörder

  • Mörder weicht nicht wie im Caligari physisch von der Normalität ab - ist in die Realität eingebettet
  • erste filmische Anerkennung unkontrollierbarer Impulse im Verbrecher
  • Triebtäter taucht wieder Ende der 40er im Film Noir auf (z.B. "He Walked by Night")

Der Film als Politikum

  • staatliche und kriminelle Gewalt vermischen sich im Film durch geschickte Schnitte Stadt und Bewohner als System moralischer, sittlicher und sozialer Normen denen sich der Mörder verweigert und der Gesellschaft einen Spiegel vorhält

Der Film vorm Film Noir

  • düstere Atmosphäre im gesamten Film
  • Ausweglosigkeit, Hoffnungslosigkeit
  • Licht/Schatten, Schwarz/Weiß greifen ineinander
  • kaum Himmel, rein städtisches Ambiente
  • Schattensilhouetten, Spiegelbilder, Schaufenster
  • Titel könnte der eines "echten" Film Noir aus den 40ern sein
  • Gesellschaft im Spannungsfeld rationaler Moderne und archaischer Triebe

In der anschließenden Diskussion wurde besonders das Bild mit dem Unterschnitt im Polizeibüro eingegangen. Dieses Bild kommt für den Zuschauer recht überraschend und es stellt sich die Frage, ob es Autorität unterstreicht oder lächerlich macht. Interessant ist, dass die Stadt als Schauplatz in drei Ebenen geteilt ist: Unterwelt (Keller), Straßen und Oberwelt (Häuser). Lässt man sich auf diese Unterteilung ein, können recht interessante Übergänge/Vermischungen dieser drei Welten im Laufe des Films beobachten.

 

 
Vortragender