Inhaltsverzeichnis |
- 0.) Einleitung
- 1.) Das Buch
- 2.) Schienenfahrten
- 2.1.) Die Reise
- 2.2.) Die Landschaft
- 2.3.) Die Gesellschaft
- 3.) Ästhetik
der Zeit
- 3.1.) Rue de Paris,
Temps de Pluie
- 3.1.1.) Beschreibung
des Bildes
- 3.1.2.) Interpretation
des Bildes
- 3.2.) Künste,
Wissenschaft und Gesellschaft
- 4.) Zusammenfassung
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0.)
Einleitung |
Diese Seite ist
eine kurze Zusammenfassung des Referats über "Schienenfahrten und Ästhetik
der Zeit", gehalten am 2.11.2001 im Seminar "Geschwindigkeit des Gedankens"
an der Bauhaus Universität Weimar. Als Kernaufgabe galt es, die Kapitel 8
und 9 des Buches "Die Zähmung der Zeit" von Clark Blaise inhaltlich
zusammenzufassen und in Bezug auf das Seminar wiederzugeben.
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1.)
Das Buch |
- beschreibt das
Leben Sanford Flemings, der die standardisierte Weltzeit anregte und durchsetzte
- beschreibt die
Zeit zwischen 1850 und 1900, das Ende des viktorianischen Zeitalters -
den Beginn der Moderne
- baut auf einer
Anekdote auf:
"Als
Sandford Fleming im Juni 1876 auf einem irischen Landbahnhof stand und auf einen
Zug wartete, der nicht kam, begann sein Engagement für eine einheitliche
Weltzeit, das schließlich zu unserem heutigen Standard mit den 24 Zeitzonen
führte." (Quelle: amazon.de)
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2.)
Schienenfahrten |
- 1835 stellte die
Dampflokomotive "Adler" auf der Strecke Nürnberg-Fürth den
Höchstgeschwindigkeitsrekord von 60 km/h auf
- durch die Schienenfahrt
Einläutung einer neuen Ära, die jede Wissenschaft, sämtliche
Wirtschaftsbereiche und Gesellschaftsreise veränderte
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2.1.)
Die Reise |
- bis zur Schienenfahrt
per (Post-)Kutsche, Pferde als Antrieb, gesellig, langsam, "natürlich",
tagelange Reisen als geselliges und gesellschaftliches Ereignis
- erste Züge
hingegen "fahrende Särge" (Blaise) - kleine abgeschottete
Einzelabteile, keine Verbindungstüren, schlechte Heizungen
- Angst vor der
Reise mit Zügen; verängstigende, laute, rußige und gefährliche
Technik (Dampfdruck), übernatürliche Geschwindigkeiten
- in Europa bei
der Gestaltung der Abteile weitgehend Rückgriff auf das Prinzip der Postkutsche
=> diese engen Abteile jedoch unpassend zur neuen Geschwindigkeit
- Beginn der Beschleunigung
der Beförderung von Personen, Gütern und Informationen mit der Folge
einer psychische Rebellion
- Raub der Autonomie
des Reisenden: physische Enge, Diktat der (Abfahrt/Ankunft)Zeit
- Passagiere lernten
"Panoramablick" - Sichtweise zur Vermeidung von Übelkeit
- Zugreise im Gegensatz
zur Kutschenreise als einsames Unternehmen - wenig Gespräche, Verstecken
hinter Literatur
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2.2.)
Die Landschaft |
- starke landschaftliche
Veränderungen:
- massiver Kohleabbau, besonders in Europa
- Gleise zerschneiden die Landschaft
- Adernnetzwerke verbindet Städte und Dörfer
- Dorfzentren verlagern
sich von der Kirche zum Bahnhof (!)
- kleine "Käffer"
(Blaise) wachsen schnell heran
- starke demographische
Veränderungen, Beginn der anhaltenden Landflucht (siehe auch 2.3.)
- Schienen gelten
durch Gesetzesnovellen als Privatwege
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2.3.)
Die Gesellschaft |
- neuer Bedarf
an Ingenieuren durch Trassen- und Tunnelbau, Ausschachtung von Häfen,
Zugbau, Forschung, Standardisierung, Verbesserung, Sicherung
- folglich Stärkung
der Mittelschicht und städtischer Hochschulen während Aristokratie
weiterhin an Eliteuniversitäten lernt
- neuer Reichtum
in der Mittelschicht
- schnelle Erstarkung
der Banken durch Großkredite für Schienenprojekte
- große"Menschenansammlungen"
durch Verstädterung
- Ende der traditionellen
Landkultur
- "Das
Feudale ist ein für alle Mal verloren" (Historiker Thomas Arnold)
- Ende des Feudalismus
und Paternalismus (Paternalismus: Bestreben des Staates den Bürger
zu bevormunden)
- all dies im Gegensatz
zur viktorianischen Epoche, die geprägt war durch Genuss, Geselligkeit,
Reiz der Landschaft
- Tempo ersetzt
die Gemächlichkeit, heizt die Gesellschaft an, hetzt, wälzt um,
schafft Neues
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3.)
Ästhetik der Zeit |
- Begriff "zeitlose"
Kunst als lobender Kontrast zu "überholt, veraltet"
- Experimentelle
Zeitebene in der Kunst: z.B. "Ulysses" von James Joyce (beschreibt
auf über 1000 Seiten 24 Stunden - den "Bloomsday" aus Sich dreier
Charaktere)
"Vordergründig-realistisch
ist Ulysses die Geschichte dreier Einwohner Dublins, ihrer Handlungen, Begegnungen
und Gedanken am 16. Juni 1904 von acht Uhr früh bis zum nächsten Morgen
um etwa drei Uhr, die Geschichte eines Tages im Leben von Leopold Bloom, Anzeigenagent
des "Freeman's Journal", seiner Frau Marion ("Molly") und
des jungen Lehrers und Schriftstellers Stephen Dedalus." (Kindlers Neues
Literaturlexikon)
Buchtitel: "Joyce's Vision of Time in Ulysses . A Juxtaposition of
James Joyce's Ulysses and Paul Ricoeur's Time and Narrative"
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3.1.)
Gemälde "Rue de Paris, Temps de Pluie" (Gustave Caillebottes) |
- Blaise bezieht
sich zur Veranschaulichung der "Zeitlosigkeit" auf Gustave Caillebottes
"Rue de paris, Temps de Pluie" ("Pariser Straße, Regenwetter")
- Gemälde 1877
nach monatelangen fotografischen Vorarbeiten fertig gestellt (zur gleichen
Zeit etwa verpasste Fleming ein paar hundert Kilometer weiter den Zug)
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3.1.1)
Beschreibung des Bildes |
- stellt typische
Pariser Straßensituation bei Regen dar
- rechter unterer
Bildrand: elegantes Paar mit Schirm, kühl, fehlende Erotik
- Himmel bedeckt,
graugelb, Wolken und Rauchschwaden
- halbes Dutzend
übers nasse Pflaster eilender Menschen
- frostig, abweisend,
anonyme Figuren, keine Anekdote
- alle in Bewegung
(man achte auf die Füße) - Folge der fotografische Vorlagen
- Dynamisches, impressionistisches
Gemälde
- für Impressionismus
Verwendung recht blasser Farben daher Bezeichnung "urbaner Impressionismus"
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3.1.2.)
Interpretation des Bildes |
- Maler kann
Bewegung nicht sehen - stellt nur Bruchteil einer Bewegung dar
- "Es
handelt von' einer Pariser Straße bei Regenwetter, hat indes keine
paraphrasierbare Vorgeschichte." (Blaise)
- "Es
bedeutet also nichts, veranschaulicht nichts, spielt auf nichts an, gibt nichts,
außer dem Vergnügen an der Ausführung." (Blaise)
- Fixierung eines
beliebigen Momentes im Gewebe der Zeit - ähnlich zu "Ulysses"
(planlos herausgegriffner Tag als Mikrokosmos der Menschheitsgeschichte)
- kündigte
unsere zeitgenössische Faszination für die sureal anmutenden
Bilder Edward Hoppers oder Fotografien Cartier-Bressons an
- Malerei von den
schönen Künsten am immunsten und gleichgültigsten gegen die Zeit
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3.2.)
Künste, Wissenschaft und Gesellschaft |
- neue Wissenschaften
werfen neue Grundfragen auf: Was ist Wirklichkeit? Was ist Bewusstsein? Was ist
Zeit?
- Der Kubismus ersetzt
das Nacheinander von gemalten Szenen durch Gleichzeitigkeit - Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft überlagern sich
- in allen Künsten
neue Perspektiven durch neues Zeitbewusstsein
- Motiv der Zeithandhabung
zentrales Motiv aller technischen, intellektuellen und künstlerischen Neuerungen
des 20. Jahrhunderts
- Technik soll Zeit
"sparen" helfen, sie planbar machen, abstimmbar, ihr den Schrecken nehmen
- Künstler,
Schriftsteller und Wissenschaftler lernten den Umgang mit der Zeit, sie zu manipulieren,
Zeit ist keine Gottesgabe mehr (bildlich: Kirchturmuhren keine Rolle mehr in der
Zeitmessung und -gebung)
- sprichwörtlich:
"Mensch nimmt sich Zeit" - die Zeit selbst wird zur Gottesgabe der merkantilen
Gesellschaft
- "Das
19. Jahrhundert brachte Gott zur Strecke, ohne ihn allerdings zu beerdigen; an
seiner Stelle errichtete es die Standardzeit." (Blaise)
- Zeitzonen und
Stechuhr - die Zeitgleichheit dehnt sich von knapp zwanzig auf zweitausend Kilometer
aus (Kirchturmuhren...)
- Im Film, dem in
den Künsten extremsten Beispiel der Zeitmanipulation lässt sich ein
Augenblick unendlich dehnen oder stauchen - das Zeitgefühl kann gänzlich
unterdrückt werden è eigene Zeitdimension im Zuschauer
- Im 19. Jahrhundert
weltweites protestantisches Zeitbewusstsein: Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit
ó "kulturelle Rhythmen" decken sich nicht mit der Uhr-, Kalender
oder Normalzeit
- Robert Levines
"The Geography of Time" führte den Begriff "Zeitmillionäre"
ein und analysierte Zeitbewusstsein in vielen Gesellschaften
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4.)
Zusammenfassung |
Zeit. Zeit läutet
den Übergang vom viktorianischen Zeitalter zur Moderne ein. Gemächlichkeit
wird durch Hatz abgelöst, Natürlichkeit durch Pünktlichkeit. Zeit
wird zur "göttlichen" Gabe. Die Schienenfahrt, die mit ihren Adern
die Welt zu einem Ort zusammenschloss und unnatürliche Geschwindigkeit erreichte,
erforderte und transportierte die standardisierte Zeit in die Welt. Die "neue
Zeit" veränderte Wissenschaften, Gesellschaft und Landschaft nachhaltig.
Die Künste
und Künstler reagierten auf die neue Situation. Sowohl Literatur, Photographie,
als auch Malerei experimentierten mit der Zeit - dehnten und stauchten sie, erschufen
neue Zeitebenen und zerstörten sie wieder. Das neue Zeitgefühl, die
"große Hatz", wurde zum tragenden Motiv der Kunst der Moderne. |
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